
Was sind Lernleitern?
Das praxisorientierte System Lernleitern ermöglicht individualisiertes Lernen einer oder mehrerer Jahrgangsstufen und Leistungsniveaus. Die Lernenden organisieren ihre individuellen Lernprozesse mithilfe einer vorbereiteten Lernumgebung. Die natürliche Heterogenität der Jahrgangsstufen wird für das Anerkennen unterschiedlicher Begabungen genutzt.



Lineare, systemische und kombinierte Lernleiterstrukturen, Quelle: (Müller/Schaller/Würzle, 2024)
Struktur
Die Inhalte werden im System Lernleitern nicht für eine Woche, wie beispielsweise bei einem Wochenarbeitsplan angeboten, sondern bilden größere Einheiten bis hin zu mehreren Jahrgangsstufen ab. Es gibt immer einen ersichtlichen Startpunkt und ein definiertes Ziel.
Eine Lernleiter untergliedert sich in Meilensteine, sogenannte Milestones, die in ihrem Aufbau an die klassischen Phasen einer Unterrichtseinheit mit Einführung, Erarbeitung/ Anwendung/ Übung/ Vertiefung, Lernstandsüberprüfung sowie Förderung und Ausweitungen erinnern. Jeder Schritt auf der Lernleiter visualisiert eine materialbasierte Lernaktivität, die ganzheitliches, handlungsorientiertes und selbstreguliertes Lernen ermöglicht. Jede Aktivität auf der Lernleiter trägt ein eindeutiges Symbolsystem und leitet zu den entsprechenden Materialien, Lernorten und in die jeweilige Sozialform.
Ursprung
Der geografische und inhaltliche Ursprung des Systems Lernleitern liegt in der sogenannten MultiGradeMultiLevel-Methodology (MGML), die in den 1980er Jahren von einem Lehrerehepaar im südindischen Rishi Valley, im Bundesstaat Andhra Pradesh entwickelt wurde. 2013 lernten in Indien bereits über 12 Millionen Kinder und Jugendliche mit Lernleitern. Das Rishi Valley Institute for Educational Ressources (RIVER) gewann zahlreiche nationale und internationale Preise und so wurde die MGML-Methodology weltweit bekannt und adaptiert.

RIVER Satellite School in Sundranavam, Foto: Ruth Würzle
Kernelemente des Systems Lernleitern

Kernelemente des Systems Lernleitern, Quelle: (Müller/Schaller/Würzle, 2024)
Das System Lernleitern ist eine inhaltlich, systemisch und prozessual strukturierte Lernumgebung aus mehreren Kernelementen. Diese Kernelemente, sind in Teilaspekten auch in anderen pädagogischen Konzepten des offenen Unterrichts (wie beispielsweise dem Churer Modell oder der Montessori Pädagogik) realisiert. Eine detaillierte und praxisorientierte Beschreibung aller, in der Grafik skizzierten Kernelemente befindet sich im 2024 beim Ernst-Reinhardt erschienen Buch „Lernleitern – Wege in die Praxis“ (Müller, Schaller, Würzle).
Raumkonzept
Das Arbeiten mit Lernleitern setzt eine vorbereitete Lernumgebung in einem Klassenzimmer, in einer Lernwerkstatt oder auch durch flexible Möbel in Vorräumen oder Gängen voraus.



Abb. 1: Foyer mit Rollwägen einer Deutsch-Lernleiter an der Mittelschule Weißenburg, Foto: Ruth Würzle
Abb. 2: Mathematik-Raum der Ilztalschule, Foto: Kathrin Rossa
Abb. 3: Plenumsrunde mit allen Beteiligten der Primarstufe der Ilztalschule
Aus der Sicht von Lehrkräften ist eine Lernleiter eine aufbereitete Umsetzung des Lehrplans in einen systematisierten Lernplan. Aus der Sicht von Lernenden bieten Lernleitern einen Handlungsplan, dem sie in ihrem eigenen Tempo folgen. Unterrichtsinhalte werden so für Lern- und Konstruktionsprozesse systematisiert und in Form von Lernmaterialien in verschiedenen sozialen Arrangements in einem vorbereiteten Lernraum angeboten. Lernleitern können einen linearen, systemischen oder gemischten Aufbau haben, je nachdem welche fachdidaktischen Überlegungen hierbei zugrunde liegen.
Seit 2002 sind Lernleitern auch im deutschsprachigen Raum zunehmend bekannt geworden und haben zu zahlreichen Erprobungen in verschiedenen Schularten v.a. in Deutschland geführt. Lehrkräfte, die umfassend Lernleitern entwickelt und erprobt haben, berichten von beobachtbaren Entwicklungsschritten der Lernenden, weniger Angst, erhöhter Lernmotivation und einer zunehmenden Qualität der gegenseitigen Unterstützung in der Lerngemeinschaft. Für die Entwicklung von Lernleitern ist es im Sinne der Arbeitsteilung hilfreich, wenn sich mehrere Lehrkräfte auf den Weg machen oder dies gar als gesamter Schulentwicklungsprozess gestaltet werden kann.
Wichtig ist es, die verschiedenen Lernzonen – Materialpool, Arbeitsbereiche, Ausstellungsbereiche, Rückzugsorte, Versammlungsplätze – entsprechend einzurichten und zu kennzeichnen. Durch die Untergliederung des Lernraumes in diese verschiedenen Bereiche werden die unterschiedlichen Formen des kooperativen Lernens ermöglicht. Ein Lernleiter-Raum gliedert sich nicht, wie im Frontalunterricht, in den Bereich der Lehrkraft „vorne“ und den Bereich der Lernenden „hinten“. Die Aufteilung des Lernraums in verschiedene, gleichwertige Lernzonen bricht auch mit im Raum erzeugtem rollenspezifischem Statusverhalten und verdeutlicht eine gewollte Dezentralisierung. Das System Lernleitern sieht neben den Lernzonen und dem Materialpool auch klar abgegrenzte „Räume“ für die Begegnung der gesamten Lerngruppe vor. Die Plenumsrunden sind ein notwendiges soziales Begleitinstrument neben den individuell voranschreitenden Lernprozessen. Sie dienen dem Austausch über das Gelernte, der Reflexion und der Würdigung der Lernprodukte und -prozesse.